39 Rechtsstreitigkeiten
Die Volkswagen AG und die Unternehmen, an denen sie unmittelbar oder mittelbar Anteile hält, sind national und international an einer Vielzahl von Rechtsstreitigkeiten und behördlichen Verfahren beteiligt. Solche Rechtsstreitigkeiten und Verfahren treten unter anderem im Zusammenhang mit Produkten oder Dienstleistungen oder im Verhältnis zu Arbeitnehmern, Behörden, Händlern, Investoren, Kunden, Lieferanten, oder sonstigen Vertragspartnern auf. Für die daran beteiligten Gesellschaften können sich hieraus Zahlungen wie zum Beispiel Bußgelder sowie andere Verpflichtungen und Folgen ergeben. Insbesondere können erhebliche Schadensersatz- oder Strafschadensersatzzahlungen zu leisten sein und kostenintensive Maßnahmen erforderlich werden. Dabei ist es häufig nicht oder nur sehr eingeschränkt möglich, die objektiv drohenden Auswirkungen konkret einzuschätzen.
Weltweit sind, insbesondere in den USA verschiedene Verfahren anhängig, in denen Kunden vermeintliche produktbezogene Ansprüche einzeln oder im Wege von Sammelklagen geltend machen. Diese Ansprüche werden regelmäßig mit behaupteten Mängeln an Fahrzeugen – einschließlich der dem Volkswagen Konzern zugelieferten Fahrzeugteile – begründet. Darüber hinaus können sich Risiken im Zusammenhang mit der Einhaltung von gesetzlichen beziehungsweise regulatorischen Anforderungen (wie zum Beispiel aus der DSGVO) ergeben. Dies gilt insbesondere auch im Falle von Wertungsspielräumen, bei denen es zu abweichenden Auslegungen durch Volkswagen und die jeweils zuständigen Behörden kommen kann.
Die Gesellschaften des Volkswagen Konzerns stehen im Rahmen ihrer Geschäftstätigkeit in kontinuierlichem Austausch mit Behörden unter anderem mit dem Kraftfahrt-Bundesamt. Wie Behörden gewisse tatsächliche und rechtliche Fragestellungen im Einzelfall bewerten werden, kann nicht mit Sicherheit vorhergesagt werden. Daher kann auch letztlich nicht ausgeschlossen werden, dass insbesondere bestimmte Fahrzeugeigenschaften und/oder Typgenehmigungsaspekte bemängelt oder als unzulässig bewertet werden könnten. Dies ist grundsätzlich eine Frage der konkreten behördlichen Bewertung im Einzelfall.
Risiken können sich auch aus Verfahren ergeben, in denen die Verletzung geistiger Eigentumsrechte einschließlich Patente, Warenzeichen oder anderer Drittrechte vor allem in Deutschland und den USA geltend gemacht werden. Sollte der Vorwurf erhoben oder die Feststellung getroffen werden, Volkswagen habe geistige Eigentumsrechte Dritter verletzt, könnte Volkswagen zur Leistung von Schadensersatz, Änderung von Fertigungsverfahren, Umgestaltung von Produkten oder Unterlassung des Vertriebs bestimmter Produkte verpflichtet werden, was Liefer- und Produktionsbeschränkungen oder -unterbrechungen zur Folge haben kann.
Des Weiteren können sich aus kriminellen Handlungen Einzelner, die selbst das beste Compliance-Managementsystem niemals vollständig ausschließen kann, Rechtsrisiken ergeben.
Soweit überschaubar und wirtschaftlich sinnvoll, wurden zur Absicherung dieser Risiken in angemessenem Umfang Versicherungen abgeschlossen. Für bekannte und entsprechend bewertbare Risiken wurden auf Basis des derzeitigen Kenntnisstands, soweit erforderlich, angemessen erscheinende Rückstellungen gebildet beziehungsweise Angaben zu Eventualverbindlichkeiten gemacht. Da einige Risiken nicht oder nur begrenzt einschätzbar sind, ist nicht auszuschließen, dass gleichwohl wesentliche Schäden eintreten können, die durch die versicherten beziehungsweise zurückgestellten Beträge nicht gedeckt sind. Dies gilt beispielsweise hinsichtlich der Einschätzung zu den Rechtsrisiken aus der Dieselthematik.
Dieselthematik
Am 18. September 2015 veröffentlichte die US-amerikanische Umweltschutzbehörde (Environmental Protection Agency – EPA) eine „Notice of Violation“ und gab öffentlich bekannt, dass bei Abgastests an bestimmten Fahrzeugen mit 2.0 l Dieselmotoren des Volkswagen Konzerns in den USA Unregelmäßigkeiten bei Stickoxid (NOx)-Emissionen festgestellt wurden. In diesem Zusammenhang informierte die Volkswagen AG darüber, dass in weltweit rund elf Millionen Fahrzeugen mit Dieselmotoren des Typs EA 189 auffällige Abweichungen zwischen Prüfstandswerten und realem Fahrbetrieb festgestellt wurden. Am 2. November 2015 gab die EPA mit einer „Notice of Violation“ bekannt, dass auch bei der Software von US-Fahrzeugen mit Dieselmotoren des Typs V6 mit 3.0 l Hubraum Unregelmäßigkeiten festgestellt wurden.
Die sogenannte Dieselthematik hatte ihren Ursprung in einer – nach Rechtsauffassung der Volkswagen AG nur nach US-amerikanischem Recht unzulässigen – Veränderung von Teilen der Software der betreffenden Motorsteuerungseinheiten für das seinerzeit von der Volkswagen AG entwickelte Dieselaggregat EA 189. Die Entscheidung zur Entwicklung und zur Installation dieser Softwarefunktion wurde Ende 2006 unterhalb der Vorstandsebene getroffen. Kein Vorstandsmitglied hatte zu diesem Zeitpunkt und nachfolgend über mehrere Jahre hinweg Kenntnis von der Entwicklung und Implementierung dieser Softwarefunktion.
Auch gibt es keine Erkenntnisse, dass dem Ausschuss für Produktsicherheit oder den für die Aufstellung des Jahres- und Konzernabschlusses 2014 verantwortlichen Personen im Nachgang zur Veröffentlichung der Studie des International Council on Clean Transportation im Mai 2014 ein nach US-amerikanischem Recht unzulässiges „Defeat Device“ als Ursache der hohen NOx-Emissionen bei bestimmten US-Fahrzeugen mit 2.0 l Dieselmotoren des Typs EA 189 offengelegt wurde. Vielmehr war die Erwartung der für die Aufstellung des Jahres- und Konzernabschlusses 2014 verantwortlichen Personen zum Zeitpunkt der Aufstellung des Jahres- und Konzernabschlusses 2014, dass die Thematik mit vergleichsweise geringem Aufwand zu beheben sei.
Im Laufe des Sommers 2015 wurde für einzelne Mitglieder des Vorstands der Volkswagen AG sukzessive erkennbar, dass die Auffälligkeiten in den USA durch eine Veränderung von Teilen der Motorsteuerungssoftware verursacht wurden, welche später als nach US-amerikanischem Recht unzulässiges „Defeat Device“ identifiziert wurde. Dies mündete in der Offenlegung eines „Defeat Device“ durch Volkswagen gegenüber der EPA und dem California Air Resources Board – einer Einheit der Umweltbehörde des US-Bundesstaates Kalifornien – am 3. September 2015. Die in der Folge zu erwartenden Kosten für den Volkswagen Konzern (Rückrufkosten, Nachrüstungskosten und Strafzahlungen) bewegten sich nach damaliger Einschätzung der verantwortlichen, mit der Sache befassten, Personen nicht in einem grundlegend anderen Umfang als in früheren Fällen, in die andere Fahrzeughersteller involviert waren, und erschienen deshalb mit Blick auf die Geschäftstätigkeit des Volkswagen Konzerns insgesamt beherrschbar. Diese Beurteilung der Volkswagen AG fußte unter anderem auf der Beratung einer in den USA für Zulassungsfragen beauftragten Anwaltssozietät, wonach ähnlich gelagerte Fälle in der Vergangenheit mit den US-Behörden einvernehmlich gelöst werden konnten. Die am 18. September 2015 erfolgte Veröffentlichung der „Notice of Violation“ durch die EPA, die für den Vorstand vor allem zu diesem Zeitpunkt unerwartet kam, ließ die Lage sodann völlig anders erscheinen.
Auch die seinerzeit amtierenden Vorstandsmitglieder der AUDI AG haben erklärt, dass sie bis zur „Notice of Violation“ durch die EPA im November 2015 keine Kenntnis von dem Einsatz einer nach US-amerikanischem Recht unzulässigen „Defeat Device Software“ in 3.0 l TDI-Motoren des Typs V6 hatten.
Innerhalb des Volkswagen Konzerns trägt die Volkswagen AG die Entwicklungsverantwortung für die Vierzylinder-Dieselmotoren, wie zum Beispiel Typ EA 189, und die AUDI AG trägt die Entwicklungsverantwortung für die Sechs- und Achtzylinder-Dieselmotoren, wie zum Beispiel Dieselmotoren der Typen V6 3.0 l und V8 4.2 l.
Als Folge der Dieselthematik wurden in verschiedenen Ländern zahlreiche gerichtliche und behördliche Verfahren eingeleitet. Zwischenzeitlich ist es Volkswagen gelungen, wesentliche Fortschritte zu erzielen und zahlreiche Verfahren zu beenden. In den USA erzielten die Volkswagen AG und bestimmte verbundene Unternehmen Vergleichsvereinbarungen mit verschiedenen Regierungsbehörden sowie mit diversen Privatklägern, die in einer im US-Bundesstaat Kalifornien anhängigen „Multidistrict Litigation“ durch ein sogenanntes Steuerungskomitee (Plaintiffs‘ Steering Committee) vertreten waren. Bei diesen Vereinbarungen handelt es sich unter anderem um diverse Partial Consent Decrees sowie ein Plea Agreement, mit denen bestimmte zivilrechtliche Ansprüche sowie strafrechtliche Forderungen nach US-amerikanischem Bundesrecht und dem Recht einzelner Bundesstaaten im Zusammenhang mit der Dieselthematik beigelegt wurden. Obwohl Volkswagen fest zur Erfüllung der sich aus diesen Vereinbarungen ergebenden Verpflichtungen entschlossen ist, ist eine Verletzung dieser Verpflichtungen nicht vollständig auszuschließen. Eine etwaige Verletzung könnte nach Maßgabe der Vereinbarungen signifikante Strafen nach sich ziehen, sowie gegebenenfalls weitere Geldbußen, strafrechtliche Sanktionen und Unterlassungsverpflichtungen. Im Mai 2020 wurde das letzte noch laufende Vergleichsprogramm zur Beilegung einer Sammelklage seitens Kunden in den USA beendet; es betraf Fahrzeuge mit 3.0 l TDI-Motoren der Generation 2.
Der Volkswagen Konzern stellt weltweit für nahezu alle Dieselfahrzeuge mit Motoren des Typs EA 189 in Abstimmung mit den jeweils zuständigen Behörden technische Maßnahmen zur Verfügung. Das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) hat für sämtliche Cluster (Fahrzeuggruppen) innerhalb seiner Zuständigkeit festgestellt, dass mit der Umsetzung der technischen Maßnahmen keine nachteiligen Veränderungen hinsichtlich des Kraftstoffverbrauchs, der CO2-Emissionen, der Motorleistung, des maximalen Drehmoments und der Geräuschemissionen verbunden sind.
Anknüpfend an die Untersuchungen der AUDI AG von relevanten Dieselkonzepten auf etwaige Unregelmäßigkeiten und Nachrüstungspotenziale hat das KBA von der AUDI AG vorgeschlagene Maßnahmen in verschiedenen Rückrufbescheiden zu Fahrzeugmodellen mit V6 und V8 TDI-Motoren aufgegriffen und angeordnet. Die AUDI AG geht gegenwärtig von insgesamt überschaubaren Kosten für das seit Juli 2017 laufende überwiegend softwarebasierte Nachrüstprogramm inklusive des auf Rückrufen basierenden Umfangs aus und hat eine entsprechende bilanzielle Risikovorsorge gebildet. Seitens der AUDI AG wurden inzwischen für viele betroffene Aggregate Software-Updates entwickelt und nach erfolgter Freigabe durch das KBA bereits in einem Großteil der Fahrzeuge der betroffenen Kunden umgesetzt. Die sich noch in Entwicklung befindlichen Software-Updates werden voraussichtlich in 2021 dem KBA zur Freigabe vorgestellt.
Mögliche Auswirkungen auf die Ertrags-, Finanz- und Vermögenslage von Volkswagen können sich im Zusammenhang mit der Dieselthematik im Wesentlichen in den folgenden Rechtsgebieten ergeben:
1. Straf- und Verwaltungsverfahren weltweit (exklusive USA/Kanada)
In einigen Ländern sind strafrechtliche Ermittlungsverfahren/Ordnungswidrigkeitenverfahren und/oder Verwaltungsverfahren eröffnet worden. Der Kernsachverhalt der strafrechtlichen Ermittlungsverfahren wird von den Staatsanwaltschaften in Braunschweig und München ermittelt.
Im Mai 2020 ist das Strafverfahren wegen des Vorwurfs der Marktmanipulation im Hinblick auf kapitalmarktrechtliche Informationspflichten im Zusammenhang mit der Dieselthematik gegen den amtierenden Vorstandsvorsitzenden und ein ehemaliges Mitglied (heutiger Aufsichtsratsvorsitzender) des Vorstands der Volkswagen AG gegen Zahlung einer Geldauflage in Höhe von jeweils 4,5 Mio. € – und insoweit auch gegen die Volkswagen AG als Nebenbeteiligte – durch das Landgericht Braunschweig endgültig eingestellt worden. Nach Zulassung der zunächst weiter anhängigen Anklage gegen einen ehemaligen Vorstandsvorsitzenden der Volkswagen AG einschließlich des insoweit noch anhängigen Verfahrens gegen die Volkswagen AG im September 2020, hat das Landgericht Braunschweig im Januar 2021 das Verfahren gegen den ehemaligen Vorsitzenden des Vorstandes vorläufig und betreffend die Volkswagen AG endgültig eingestellt.
Im September 2020 hat das Landgericht Braunschweig die Anklage auch gegen denselben ehemaligen Vorstandsvorsitzenden der Volkswagen AG unter anderem wegen des Vorwurfs des Betruges im Zusammenhang mit der Dieselthematik betreffend Motoren des Typs EA 189 zugelassen und das Hauptverfahren eröffnet.
Das Landgericht München II hat im Juni 2020 die Anklage der Staatsanwaltschaft München II auch gegen den vormaligen Vorstandsvorsitzenden der AUDI AG unter anderem wegen des Vorwurfs des Betrugs im Zusammenhang mit der Dieselthematik betreffend 3.0 l TDI-Motoren im Wesentlichen unverändert zur Hauptverhandlung zugelassen und das Hauptverfahren eröffnet. Die Verhandlung hat im September 2020 begonnen.
Im August 2020 hat die Staatsanwaltschaft München II eine weitere Anklage auch gegen drei ehemalige Vorstandsmitglieder der AUDI AG unter anderem wegen des Vorwurfs des Betrugs im Zusammenhang mit der Dieselthematik betreffend 3.0 l und 4.2 l TDI-Motoren erhoben.
Die Staatsanwaltschaft Stuttgart führt bezüglich der Dieselthematik strafrechtliche Ermittlungen auch gegen ein Vorstandsmitglied der Dr. Ing. h.c. F. Porsche AG wegen des Verdachts des Betrugs und der unzulässigen Werbung.
Die jeweiligen Konzerngesellschaften haben renommierte Großkanzleien mit der Aufklärung des Sachverhalts beauftragt, der den staatsanwaltschaftlichen Vorwürfen zugrunde liegt. Vorstand und Aufsichtsrat lassen sich regelmäßig über den aktuellen Stand berichten.
Das KBA als zuständige Typgenehmigungsbehörde untersucht zudem fortlaufend Fahrzeugmodelle der Marken Audi, Volkswagen und Porsche auf kritische Funktionen. Sofern das KBA bestimmte Funktionen als unzulässig betrachtet, werden die betroffenen Fahrzeuge im Wege einer angeordneten Maßnahme zurückgerufen oder deren Konformität in einer freiwilligen Serviceaktion wieder hergestellt.
Zudem laufen im Zusammenhang mit der Dieselthematik international weitere Verwaltungsverfahren.
Die Gesellschaften des Volkswagen Konzerns kooperieren mit den staatlichen Behörden.
Darüber hinaus können sich Risiken aus möglichen Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs zu der Auslegung der EU-Typgenehmigungsvorschriften ergeben.
Ob und gegebenenfalls in welcher Höhe aus Straf- und Verwaltungsverfahren am Ende Geldbußen oder sonstige Konsequenzen für das Unternehmen resultieren, unterliegt zum aktuellen Zeitpunkt Einschätzungsrisiken. In der Mehrheit der Verfahren schätzt Volkswagen die Wahrscheinlichkeit einer Sanktionierung mit nicht über 50 % ein. Für diese Fälle wurden Eventualverbindlichkeiten angegeben, soweit sie bewertbar sind und die Wahrscheinlichkeit einer Sanktionierung nicht niedriger als 10 % eingeschätzt wurde. In geringem Umfang waren Rückstellungen zu bilden.
2. Produktbezogene Klagen weltweit (exklusive USA/Kanada)
In betroffenen Märkten besteht grundsätzlich die Möglichkeit von zivilrechtlichen Klagen von Kunden oder die Geltendmachung von Regressansprüchen von Importeuren und Händlern gegen die Volkswagen AG und andere Gesellschaften des Volkswagen Konzerns. Dabei gibt es neben der Möglichkeit individueller Klagen in verschiedenen Jurisdiktionen auch unterschiedliche Formen von Sammelverfahren, das heißt der kollektiven oder stellvertretenden Geltendmachung von Individualansprüchen. Des Weiteren besteht in einigen Märkten die Möglichkeit, dass Verbraucher- und/oder Umweltverbände vermeintliche Unterlassungs-, Feststellungs- oder Schadensersatzansprüche geltend machen.
Sammelverfahren von Kunden sowie Klagen von Verbraucher- und/oder Umweltverbänden sind gegen die Volkswagen AG und andere Gesellschaften des Volkswagen Konzerns in verschiedenen Ländern wie beispielsweise Australien, Belgien, Brasilien, Deutschland, England und Wales sowie Frankreich, Italien, den Niederlanden, Portugal und Südafrika anhängig. Mit ihnen werden unter anderem behauptete Schadensersatzansprüche geltend gemacht. Insbesondere sind die nachfolgenden Verfahren anhängig:
In Australien waren verschiedene Sammelklagen gegen die Volkswagen AG und weitere Konzerngesellschaften, einschließlich der australischen Tochtergesellschaften, anhängig. Im Dezember 2019 hatte sich die Volkswagen AG mit den Sammelklägern auf eine vergleichsweise Beendigung der Verfahren geeinigt, die das Gericht im April 2020 genehmigt hat. Die Volkswagen AG geht davon aus, dass die Gesamtkosten des Vergleichs bei rund 180 Mio. AUD liegen werden. Zwei Zivilklagen der Australian Competition and Consumer Commission (ACCC) gegen die Volkswagen AG und weitere Konzerngesellschaften wurden im zweiten Halbjahr 2019 durch einen Vergleich beendet. Der Vergleich ist allerdings noch nicht rechtskräftig, da eine Berufungsentscheidung über die Bußgeldhöhe noch aussteht. Die Volkswagen AG geht weiterhin davon aus, dass das Bußgeld – je nach Entscheidung des Berufungsgerichts – bei bis zu 125 Mio. AUD liegen wird.
In Belgien hat die belgische Verbraucherorganisation Test Aankoop VZW eine Sammelklage erhoben, für welche der Opt-Out Mechanismus für anwendbar erklärt wurde. Aufgrund des Opt-Out-Mechanismus sind potenziell alle Fahrzeuge mit Motoren des Typs EA 189 erfasst, die nach dem 1. September 2014 von Verbrauchern im belgischen Markt erworben wurden, es sei denn, es wird aktiv der Austritt aus der Sammelklage erklärt. Die geltend gemachten Ansprüche stützen sich auf die vermeintliche Verletzung von Wettbewerbs- und Verbraucherschutzrecht sowie auf vertragliche Pflichtverletzungen.
In Brasilien sind zwei verbraucherrechtliche Sammelklagen anhängig. Die erste Sammelklage bezieht sich auf rund 17 Tsd. Amarok-Fahrzeuge, während die zweite Sammelklage rund 67 Tsd. Amarok-Fahrzeuge einer späteren Generation betrifft. Im ersten Sammelklageverfahren erging im Mai 2019 ein nur teilweise aufrechterhaltendes Berufungsurteil. Die Schadensersatzverpflichtung von Volkswagen do Brasil wurde in diesem Urteil deutlich auf zunächst rund 172 Mio. BRL nebst Zinsen reduziert. Dieser Betrag kann sich durch die ausgeurteilte Teuerungsrate und die individuelle Geltendmachung behaupteter Wertverluste betroffener Amarok-Fahrzeuge erhöhen. Das Urteil ist weiterhin nicht rechtskräftig, da Volkswagen do Brasil Revision gegen das Berufungsurteil eingelegt hat. Im zweiten Sammelklageverfahren ist bislang kein Urteil ergangen.
Die Volkswagen AG und der Verbraucherzentrale Bundesverband e.V. haben in Deutschland am 28. Februar 2020 einen außergerichtlichen Vergleich über die Beendigung der Musterfeststellungsklage geschlossen. Danach hat sich die Volkswagen AG verpflichtet, Verbrauchern, die sich zur Musterfeststellungsklage angemeldet haben und die Vergleichskriterien erfüllen, Einzelvergleiche anzubieten. Im Ergebnis hat die Volkswagen AG sich im Berichtsjahr mit rund 245 Tsd. Kunden auf individuelle Vergleiche mit einem Gesamtvolumen von rund 770 Mio. € geeinigt. Damit ist die Abwicklung der Musterfeststellungsklage nahezu abgeschlossen. Der Verbraucherzentrale Bundesverband e.V. hat am 30. April 2020 die Musterfeststellungsklage zurückgenommen.
Zudem wurden von der financialright GmbH verschiedene Klagen aus an sie abgetretenen Rechten von insgesamt rund 45 Tsd. Kunden aus Deutschland, Slowenien und der Schweiz gegen Gesellschaften des Volkswagen Konzerns vor mehreren deutschen Landgerichten erhoben.
In England und Wales haben verschiedene Kanzleien Klagen bei Gericht eingereicht, die zu einem Sammelverfahren (Group Litigation) verbunden wurden. Aufgrund des Opt-In-Mechanismus sind nicht alle Fahrzeuge mit Motoren des Typs EA 189 automatisch von der Group Litigation erfasst, sondern potenzielle Anspruchsteller müssen sich aktiv beteiligen. Derzeit haben etwa 90 Tsd. Kläger Ansprüche im Rahmen der Group Litigation angemeldet, wobei die entsprechende Opt-in-Periode abgelaufen ist. Im April 2020 entschied der High Court in England und Wales in diesem Verfahren, dass es sich bei der Umschaltlogik des EA 189-Motors um eine unzulässige Abschalteinrichtung handele, und sieht sich diesbezüglich auch an die Feststellungen des KBA gebunden. Die Berufung von Volkswagen gegen die Entscheidung des High Court zu diesen Vorfragen wurde durch den Court of Appeal im August 2020 rechtskräftig zurückgewiesen. Die Frage der Haftung von Volkswagen war nicht Gegenstand der Entscheidung des High Court und wird erst im weiteren Prozessverlauf erörtert. Die Hauptverhandlung soll im Januar 2023 beginnen.
In Frankreich hat die französische Verbraucherorganisation Confédération de la Consommation, du Logement et du Cadre de Vie (CLCV) im September 2020 eine Sammelklage für bis zu 950 Tsd. französische Eigentümer und Leasingnehmer von Fahrzeugen mit Motoren des Typs EA 189 gegen die Volkswagen Group Automotive Retail France und die Volkswagen AG eingereicht. Es handelt sich um eine Opt-In Sammelklage, bei der sich die betroffenen Verbraucher erst dann zum Verfahren anmelden müssen, wenn die Sammelklage rechtskräftig entschieden ist.
In Italien ist eine Sammelklage des Verbraucherverbands Altroconsumo stellvertretend für italienische Kunden vor dem Regionalgericht Venedig anhängig. In diesem Verfahren werden Schadensersatzansprüche wegen vermeintlicher Vertragsverletzungen sowie Ansprüche wegen vermeintlichen Verstößen gegen italienisches Verbraucherschutzrecht geltend gemacht. Es haben sich rund 82 Tsd. Kunden für die Sammelklage angemeldet, wobei die Wirksamkeit des Großteils der Anmeldungen noch unklar ist.
In den Niederlanden ist eine auf Feststellung gerichtete Sammelklage der Stichting Volkswagen Car Claim mit Opt-Out-Mechanismus anhängig. Mögliche individuelle Ansprüche müssten im Anschluss in einem separaten Prozess durchgesetzt werden. Im November 2019 hat das Regionalgericht in Amsterdam einen Teil der Klageanträge für unzulässig erklärt. Das Verfahren ist derzeit ruhend gestellt. Darüber hinaus wurde Volkswagen im April 2020 eine auf Zahlung von Schadensersatz gerichtete Sammelklage mit Opt-Out-Mechanismus für niederländische Verbraucher durch die Diesel Emissions Justice Foundation zugestellt. Derzeit ist unklar, ob sich über die Niederlande hinaus weitere Verbraucher dieser Sammelklage anschließen können. Die Sammelklage betrifft unter anderem Fahrzeuge des Motortyps EA 189.
In Portugal ist eine Sammelklage mit Opt-Out-Mechanismus durch eine portugiesische Verbraucherorganisation anhängig. Es sind potenziell bis zu circa 139 Tsd. Fahrzeuge des Motortyps EA 189 im portugiesischen Markt betroffen. Klageziele sind die Rücknahme der Fahrzeuge sowie vermeintliche Schadensersatzansprüche.
In Südafrika ist eine auf Zahlung von Schadensersatz gerichtete Sammelklage mit Opt-Out-Mechanismus anhängig, die nicht nur rund 72 Tsd. Fahrzeuge des Motortyps EA 189 umfasst, sondern auch circa 8 Tsd. Fahrzeuge mit V6 und V8 TDI-Motoren.
Darüber hinaus sind Einzelklagen und ähnliche Verfahren gegen die Volkswagen AG und andere Gesellschaften des Volkswagen Konzerns in zahlreichen Ländern anhängig, die meist auf Schadensersatz oder Rückabwicklung des Kaufvertrags gerichtet sind.
In Deutschland sind derzeit über 55 Tsd. Einzelklagen anhängig. Im Mai 2020 erging erstmalig eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH) zu einer produktbezogenen Einzelklage im Zusammenhang mit der Dieselthematik. Der BGH entschied, dass dem Käufer eines vor Bekanntwerden der Dieselthematik erworbenen Fahrzeugs des Motorentyps EA 189 ein Schadensersatzanspruch gegen die Volkswagen AG zusteht. Er kann die Erstattung des für das Fahrzeug gezahlten Kaufpreises verlangen, muss sich aber den gezogenen Nutzungsvorteil anrechnen lassen und der Volkswagen AG das Fahrzeug zurückgeben. Mit dem Urteil wurde für einen Großteil der seinerzeit in Deutschland noch anhängigen Einzelklagen Klarheit darüber geschaffen, wie der BGH die wesentlichen Grundfragen in den Dieselverfahren beurteilt. Auf dieser Basis konnte die Anzahl der anhängigen Einzelverfahren durch zwischenzeitlich geschlossene Vergleiche bereits deutlich reduziert werden. Der BGH hat im Juli 2020 in mehreren Grundsatzurteilen weitere wesentliche Rechtsfragen für die noch anhängigen Verfahren betreffend Fahrzeuge mit Motoren des Typs EA 189 geklärt. Er hat entschieden, dass kein Schadensersatzanspruch besteht, wenn der Kläger sein Fahrzeug nach der Ad-hoc-Mitteilung vom 22. September 2015 erworben hat. Zudem hat der BGH geurteilt, dass Erwerber von betroffenen Fahrzeugen keinen Anspruch auf Deliktszinsen nach § 849 des Bürgerlichen Gesetzbuches haben. Darüber hinaus hat der BGH klargestellt, dass die Nutzungsvorteile eines Klägers einen möglichen Schadensersatzanspruch vollständig aufzehren können.
In der weit überwiegenden Zahl der Sammelverfahren von Kunden und Klagen von Verbraucher- und/oder Umweltverbänden und der Einzelklageverfahren wird die Erfolgswahrscheinlichkeit der Kläger von Volkswagen auf nicht über 50 % eingeschätzt. Für diese Verfahren werden Eventualverbindlichkeiten angegeben, soweit sie bewertbar und die Erfolgsaussichten nicht als unwahrscheinlich einzuschätzen sind. Aufgrund des frühen prozessualen Stadiums der meisten dieser Verfahren lässt sich ein realistisches Belastungsrisiko in vielen Fällen noch nicht beziffern. Darüber hinaus wurden, basierend auf der aktuellen Bewertung, soweit erforderlich Rückstellungen gebildet.
In welcher Größenordnung und mit welchen Erfolgsaussichten Kunden zukünftig über die bestehenden Klagen hinaus von der Möglichkeit einer Klageerhebung Gebrauch machen, kann derzeit nicht eingeschätzt werden.
3. Anlegerklagen weltweit (exklusive USA/Kanada)
Anleger aus Deutschland und dem Ausland haben gegen die Volkswagen AG, teilweise zusammen mit der Porsche Automobil Holding SE (Porsche SE) als Gesamtschuldner, Schadensersatzklagen wegen behaupteter Kursverluste in Folge angeblichen Fehlverhaltens bei der Kapitalmarktkommunikation im Zusammenhang mit der Dieselthematik erhoben.
Die überwiegende Mehrheit dieser Anlegerklagen ist derzeit beim Landgericht Braunschweig anhängig. Im August 2016 beschloss das Landgericht Braunschweig die Vorlage von gemeinsamen Sachverhalts- und Rechtsfragen mit Relevanz für die am Landgericht Braunschweig anhängigen Anlegerklagen an das Oberlandesgericht Braunschweig zum Erlass von Musterentscheiden nach dem Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz (KapMuG). Auf diese Weise soll in einem Verfahren eine für diese Klagen bindende Entscheidung hinsichtlich aller gemeinsamen Sachverhalts- und Rechtsfragen durch das Oberlandesgericht Braunschweig getroffen werden (Musterverfahren). Die beim Landgericht Braunschweig erhobenen Klagen werden bis zur Entscheidung über die vorgelegten Fragen ausgesetzt, sofern sie nicht aus Gründen abgewiesen werden können, die unabhängig von den in dem Musterverfahren zu entscheidenden Fragen sind. Die Entscheidung über die gemeinsamen Sachverhalts- und Rechtsfragen in dem Musterverfahren ist für die anhängigen Klagen verbindlich, soweit sie ausgesetzt wurden. Musterklägerin ist die Deka Investment GmbH. Die mündliche Verhandlung im Musterverfahren vor dem Oberlandesgericht Braunschweig hat im September 2018 begonnen und wird in weiteren Terminen fortgesetzt.
Am Landgericht Stuttgart sind weitere Anlegerklagen gegen die Volkswagen AG, teilweise zusammen mit der Porsche SE als Gesamtschuldner, erhoben worden. Am Oberlandesgericht Stuttgart ist ein weiteres Kapitalanleger-Musterverfahren gegen die Porsche SE anhängig, an dem die Volkswagen AG als Nebenintervenientin beteiligt ist. Zur Musterklägerin wurde das Wolverhampton City Council, Administrating Authority for the West Midlands Metropolitan Authorities Pension Fund bestimmt. Die mündliche Verhandlung in diesem Verfahren ist noch nicht eröffnet.
Weitere Anlegerklagen sind bei verschiedenen Gerichten in Deutschland und den Niederlanden eingereicht worden.
Insgesamt sind gegen die Volkswagen AG im Zusammenhang mit der Dieselthematik weltweit (exklusive USA/Kanada) derzeit Anlegerklagen, gerichtliche Mahn- und Güteanträge sowie Anspruchsanmeldungen nach dem KapMuG mit geltend gemachten Ansprüchen in Höhe von circa 9,7 Mrd. € rechtshängig. Die Volkswagen AG ist unverändert der Auffassung, ihre kapitalmarktrechtlichen Pflichten ordnungsgemäß erfüllt zu haben, so dass für diese Anlegerklagen keine Rückstellungen gebildet wurden. Soweit die Erfolgsaussichten nicht niedriger als 10 % eingeschätzt wurden, wurden Eventualverbindlichkeiten angegeben.
4. Verfahren in den USA/Kanada
In den USA und Kanada sind die in den „Notices of Violation“ der EPA beschriebenen Vorgänge Gegenstand von Klagen und Auskunftsersuchen verschiedener Art, die insbesondere von Kunden, Investoren, Vertriebsmitarbeitern sowie verschiedenen Behörden in Kanada und den USA, wie die Attorneys General einzelner US-Bundesstaaten, gegen die Volkswagen AG und weitere Gesellschaften des Volkswagen Konzerns gerichtet sind.
Vor einzel- und bundesstaatlichen Gerichten führen die Attorneys General von fünf US-Bundesstaaten (Illinois, Montana, New Hampshire, Ohio und Texas) sowie einige Kommunen Klagen gegen die Volkswagen AG, Volkswagen Group of America, Inc. und bestimmte verbundene Unternehmen wegen angeblicher Verletzungen des Umweltrechts. Die vom US-Bundesstaat Illinois geltend gemachten Forderungen sind vollumfänglich abgewiesen worden; gegen die Abweisung eines Teils seiner Forderungen hat der Bundesstaat Illinois jedoch Rechtsmittel eingelegt. Bestimmte Forderungen, die die US-Bundesstaaten Montana, Ohio und Texas, zwei Landkreise in Texas sowie Hillsborough County (Florida) und Salt Lake County (Utah) geltend gemacht haben, wurden ebenfalls abgewiesen; hinsichtlich der verbleibenden Forderungen werden die gerichtlichen Verfahren fortgesetzt. Volkswagen hat beim Obersten Gerichtshof der Vereinigten Staaten (US Supreme Court) Rechtsmittel gegen eine Entscheidung des US-Bundesberufungsgerichts für den 9. Gerichtsbezirk (Ninth Circuit), bestimmte Forderungen von Hillsborough County und Salt Lake County nicht zurückzuweisen, eingereicht. Ein Berufungsgericht des US-Bundesstaates Texas hat Forderungen des Bundesstaates Texas gegen die Volkswagen AG und die AUDI AG mangels Zuständigkeit („personal jurisdiction“) abgewiesen. Der Bundesstaat Texas hat zu erkennen gegeben, dass er durch den Obersten Gerichtshof des Bundesstaates Texas eine Überprüfung der Entscheidung anstrebt, wobei die Annahme des Falles im Ermessen des Obersten Gerichtshofs steht.
Im März 2019 hat die US-Börsenaufsicht (Securities and Exchange Commission – SEC) unter anderem gegen die Volkswagen AG, die Volkswagen Group of America Finance, LLC sowie die VW Credit, Inc. eine Klage eingereicht, in der Ansprüche nach US-Bundeswertpapierrecht unter anderem aufgrund vermeintlich unrichtiger und unvollständiger Angaben im Zusammenhang mit dem Angebot und Verkauf bestimmter Anleihen und Asset Backed Securities geltend gemacht werden. Im August 2020 hat das US District Court des Northern District von Kalifornien dem Antrag von Volkswagen auf Abweisung dieser Klage zum Teil stattgegeben und ihn zum Teil zurückgewiesen. Unter anderem hat das Gericht sämtliche im Zusammenhang mit Asset Backed Securities geltend gemachten Forderungen gegen VW Credit, Inc. abgewiesen. Im September 2020 hat die SEC eine überarbeitete Klageschrift eingereicht, in der neben weiteren Änderungen die abgewiesenen Forderungen nicht mehr enthalten sind.
Des Weiteren hat die kanadische Bundesumweltbehörde – nach Abschluss ihrer Untersuchung in Bezug auf strafrechtliche Maßnahmen hinsichtlich der Dieselthematik – im Dezember 2019 Anklage gegen die Volkswagen AG betreffend 2.0 l und 3.0 l Dieselfahrzeuge der Marken Volkswagen und Audi erhoben. Die Volkswagen AG hat bei der Untersuchung mitgewirkt und zur Beilegung sämtlicher Vorwürfe einem Vergleich (Plea Resolution) zugestimmt. Im Januar 2020 hat sich die Volkswagen AG im Sinne der Anklage schuldig bekannt und zur Zahlung einer Strafe in Höhe von 196,5 Mio. CAD verpflichtet, die das Gericht auch genehmigt hat. Infolge dieser Genehmigung hat die Umweltbehörde der Provinz Ontario ihre Klage auf Verhängung quasi-strafrechtlicher Sanktionen gegen die Volkswagen AG hinsichtlich bestimmter 2.0 l Dieselfahrzeuge der Marken Volkswagen und Audi zurückgezogen. In einer privaten zivilrechtlichen auf Strafschadensersatz gerichteten umweltrechtlichen Sammelklage im Namen der Einwohner der Provinz Quebec hat ein Gericht der Provinz Quebec, nachdem es das Vorliegen der Voraussetzungen für eine Sammelklage bestätigt hatte, im Oktober 2020 entschieden, dass die gegen die klägerische Schadensersatzthese vorgebrachten Einwendungen bis zur Hauptverhandlung zurückzustellen sind. Mit dieser Begründung hat das Gericht den Antrag von Volkswagen auf Klageabweisung zurückgewiesen. Das Verfahren befindet sich weiterhin in einem frühen Stadium.
Angaben zu den Schätzungen hinsichtlich der finanziellen Auswirkungen sowie Angaben zu Unsicherheiten hinsichtlich der Höhe oder der Fälligkeit von Beträgen der Rückstellungen und Eventualverbindlichkeiten im Zusammenhang mit den Verfahren in den USA/Kanada werden gemäß IAS 37.92 nicht gemacht, um die Ergebnisse der Verfahren und die Interessen des Unternehmens nicht zu beeinträchtigen.
5. Sonderprüfung
Mit Beschluss aus November 2017 hat das Oberlandesgericht Celle auf Antrag dreier US-Fonds die Einsetzung eines Sonderprüfers bei der Volkswagen AG angeordnet. Der Sonderprüfer soll prüfen, ob die Mitglieder des Vorstands und des Aufsichtsrats der Volkswagen AG im Zusammenhang mit der Dieselthematik seit dem 22. Juni 2006 ihre Pflichten verletzt haben und der Volkswagen AG hieraus ein Schaden entstanden ist. Diese Entscheidung des Oberlandesgerichts Celle ist formal rechtskräftig. Die Volkswagen AG hat gegen diese Entscheidung jedoch wegen der Verletzung ihrer verfassungsmäßig garantierten Rechte Verfassungsbeschwerde vor dem Bundesverfassungsgericht erhoben. Der vom Oberlandesgericht Celle eingesetzte Sonderprüfer hat nach der formal rechtskräftigen Entscheidung des Oberlandesgerichts mitgeteilt, dass er aus Altersgründen für die Durchführung der Sonderprüfung nicht zur Verfügung stehe. Das Oberlandesgericht Celle hat im April 2020 durch Beschluss entschieden, einen anderen als den ursprünglich bestellten Sonderprüfer zu bestellen. Die Volkswagen AG hat auch gegen diese formal rechtskräftige Entscheidung wegen der Verletzung ihrer verfassungsmäßig garantierten Rechte Verfassungsbeschwerde vor dem Bundesverfassungsgericht erhoben und die Verbindung mit der ersten Verfassungsbeschwerde gegen den Beschluss auf Einsetzung des Sonderprüfers angeregt. Es ist derzeit nicht absehbar, wann das Bundesverfassungsgericht über die beiden Verfassungsbeschwerden entscheiden wird. Die Verfassungsbeschwerden haben keine aufschiebende Wirkung.
Daneben wurde beim Landgericht Hannover ein zweiter Antrag auf Einsetzung eines Sonderprüfers bei der Volkswagen AG gestellt, der ebenfalls auf die Prüfung von Vorgängen im Zusammenhang mit der Dieselthematik gerichtet ist. Dieses Verfahren ruht bis zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts im ersten Sonderprüfungsverfahren.
6. Bewertung der Risiken aus der Dieselthematik
Zur Absicherung der derzeit bekannten Rechtsrisiken im Zusammenhang mit der Dieselthematik enthalten die Rückstellungen für Prozess- und Rechtsrisiken zum 31. Dezember 2020 auf Basis des gegenwärtigen Kenntnisstands und aktueller Einschätzungen einen Betrag von rund 1,9 Mrd. € (Vorjahr: 2,9 Mrd. €). Soweit bereits hinreichend bewertbar, wurden im Zusammenhang mit der Dieselthematik insgesamt Eventualverbindlichkeiten in Höhe von 4,2 Mrd. € (Vorjahr: 3,7 Mrd. €) im Anhang angegeben, auf die Anlegerverfahren in Deutschland entfallen davon rund 3,5 Mrd. € (Vorjahr: 3,4 Mrd. €). Aufgrund der noch nicht abgeschlossenen Sachverhaltsaufklärung sowie der Vielschichtigkeit der einzelnen Einflussfaktoren und der noch andauernden Abstimmungen mit den Behörden unterliegen die im Zusammenhang mit der Dieselthematik gebildeten Rückstellungen sowie die angegebenen Eventualverbindlichkeiten und die weiteren latenten Rechtsrisiken zum Teil erheblichen Einschätzungsrisiken. Sollten sich diese Rechts- beziehungsweise Einschätzungsrisiken verwirklichen, kann dies zu weiteren erheblichen finanziellen Belastungen führen. Insbesondere lässt sich nicht ausschließen, dass aufgrund von zukünftigen Erkenntnissen oder Ereignissen die gebildeten Rückstellungen möglicherweise angepasst werden müssen.
Weitergehende Angaben zu den Schätzungen hinsichtlich der finanziellen Auswirkungen sowie Angaben zu Unsicherheiten hinsichtlich der Höhe oder der Fälligkeit von Beträgen der Rückstellungen und Eventualverbindlichkeiten im Zusammenhang mit der Dieselthematik werden gemäß IAS 37.92 nicht gemacht, um die Ergebnisse der Verfahren und die Interessen des Unternehmens nicht zu beeinträchtigen.
Weitere wesentliche Rechtsstreitigkeiten
Die ARFB Anlegerschutz UG (haftungsbeschränkt) hat im Jahr 2011 eine Schadensersatzklage gegen die Volkswagen AG und die Porsche SE wegen vermeintlicher Verstöße gegen kapitalmarktrechtliche Publizitätsvorschriften im Zusammenhang mit dem Erwerb von Stammaktien der Volkswagen AG durch die Porsche SE im Jahr 2008 erhoben. Eingeklagt waren zuletzt, aus angeblich abgetretenem Recht, circa 2,26 Mrd. € nebst Zinsen. Im April 2016 hatte das Landgericht Hannover eine Vielzahl von Feststellungszielen formuliert, über die der Kartellsenat des Oberlandesgerichts Celle in einem Musterverfahren nach dem Kapitalanlegermusterverfahrensgesetz entscheiden wird. Der Senat hat bereits in der ersten mündlichen Verhandlung im Oktober 2017 erkennen lassen, dass er Ansprüche gegen die Volkswagen AG sowohl mangels substantiierten Vortrags als auch aus Rechtsgründen derzeit als nicht begründet ansieht. Die Volkswagen AG sieht sich durch die Ausführungen des Senats in der Einschätzung bestätigt, dass die geltend gemachten Ansprüche jeglicher Grundlage entbehren. Eine erstinstanzliche Entscheidung steht derzeit noch aus, da zahlreiche Verhandlungstermine unter anderem aufgrund von – bisher stets erfolglosen – Befangenheitsanträgen der Klägerseite sowie zuletzt aufgrund der Covid-19-Pandemie abgesagt wurden.
In Brasilien leitete die brasilianische Finanzverwaltung ein Steuerverfahren gegen MAN Latin America ein, in dem es um die Bewertung steuerlicher Auswirkungen der in 2009 gewählten Erwerbsstruktur für MAN Latin America geht. Im Dezember 2017 ist im sogenannten Administrative Court Verfahren ein zweitinstanzliches, für MAN Latin America negatives Urteil ergangen. Gegen dieses Urteil hat MAN Latin America vor dem regulären Gericht in 2018 Klage erhoben. Die betragsmäßige Abschätzung des Risikos für den Fall, dass sich die Finanzverwaltung insgesamt mit ihrer Auffassung durchsetzen könnte, ist aufgrund der Verschiedenheit der gegebenenfalls nach brasilianischem Recht zur Anwendung kommenden Strafzuschläge nebst Zinsen mit Unsicherheit behaftet. Es wird jedoch weiterhin mit einem für MAN Latin America positiven Ausgang gerechnet. Für den gegenteiligen Fall könnte sich ein Risiko von rund 3,1 Mrd. BRL für den streitgegenständlichen Gesamtzeitraum ab 2009 ergeben, das im Anhang innerhalb der Eventualverbindlichkeiten angegeben wurde.
Die Europäische Kommission führte im Jahr 2011 Durchsuchungen bei europäischen Lkw-Herstellern wegen des Verdachts eines unzulässigen Informationsaustauschs im Zeitraum zwischen 1997 und 2011 durch und übermittelte im November 2014 in diesem Zusammenhang MAN, Scania und den übrigen betroffenen Lkw-Herstellern die sogenannten Beschwerdepunkte. Mit ihrer Vergleichsentscheidung im Juli 2016 verhängte die Europäische Kommission gegen fünf europäische Lkw-Hersteller Geldbußen. Da MAN die Europäische Kommission als Kronzeuge über die Unregelmäßigkeiten informiert hatte, wurde MAN die Geldbuße vollständig erlassen.
Im September 2017 verhängte die Europäische Kommission gegen Scania eine Geldbuße von 0,88 Mrd. €. Scania hat dagegen Rechtsmittel zum Europäischen Gerichtshof in Luxemburg eingelegt und wird sich umfassend verteidigen. Scania bildete bereits im Jahr 2016 eine Rückstellung in Höhe von 0,4 Mrd. €.
Darüber hinaus sind Kartellschadensersatzklagen von Kunden eingegangen. Wie in jedem Kartellverfahren können weitere Schadensersatzklagen folgen. Da sich die meisten Fälle noch in einem frühen Stadium befinden und dadurch eine Bewertung aktuell nicht möglich ist, wurden für diese weder Rückstellungen gebildet noch Eventualverbindlichkeiten angegeben. In anderen Fällen ist eine letztinstanzliche Entscheidung, nach der MAN oder Scania Schadensersatz zahlen müsste, aktuell eher unwahrscheinlich.
Im April 2019 hat die Europäische Kommission im Rahmen der kartellrechtlichen Untersuchungen in der Automobilindustrie der Volkswagen AG sowie der AUDI AG und der Dr. Ing. h.c. F. Porsche AG die Beschwerdepunkte übermittelt. Mit diesen informiert die Europäische Kommission über ihre vorläufige Bewertung des Sachverhalts und gibt Gelegenheit zur Stellungnahme. Der Gegenstand des Verfahrens beschränkt sich auf die Kooperation deutscher Automobilhersteller zu technischen Fragen im Zusammenhang mit der Entwicklung und Einführung von SCR-Systemen und Ottopartikelfiltern für Pkw, die im Europäischen Wirtschaftsraum verkauft worden sind. Andere Verhaltensweisen wie Preisabsprachen oder die Aufteilung von Märkten und Kunden werden den Herstellern nicht vorgeworfen. Volkswagen hat ab Juli 2019 Einsicht in die Untersuchungsakte erhalten und im Dezember 2019 auf die Beschwerdepunkte der Europäischen Kommission erwidert. Zudem haben die chinesische, die südkoreanische und die türkische Wettbewerbsbehörde in dieser Angelegenheit Verfahren eröffnet.
Im Oktober 2020 hat das US District Court des Northern District von Kalifornien zwei kartellrechtliche Sammelklagen abgewiesen. Die Kläger haben behauptet, dass mehrere Automobilhersteller, unter anderem die Volkswagen AG und weitere Konzerngesellschaften, sich zwecks unrechtmäßiger Erhöhung von Fahrzeugpreisen abgestimmt und damit gegen US-amerikanische Kartell- und Verbraucherschutzgesetze verstoßen hätten. Nach Auffassung des Gerichts waren die Klagen unschlüssig, weil durch den klägerischen Vortrag nicht hinreichend plausibel begründet war, dass der Wettbewerb durch die behaupteten Absprachen unzulässig eingeschränkt und damit gegen US-Recht verstoßen worden sei. Gegen diese Entscheidung haben die Kläger Rechtsmittel eingelegt. Mit ähnlicher Begründung reichten Kläger in Kanada im Namen mutmaßlicher Käuferklassen Klagen gegen mehrere Automobilhersteller einschließlich der Volkswagen Group Canada Inc., Audi Canada Inc. und weiterer Unternehmen des Volkswagen Konzerns ein. Es werden weder Rückstellungen noch Eventualverbindlichkeiten angegeben, da aufgrund des frühen Verfahrensstadiums eine realistische Risikobewertung derzeit nicht möglich ist.
Darüber hinaus haben wenige nationale und internationale Behörden kartellrechtliche Ermittlungen eingeleitet. Volkswagen arbeitet mit den zuständigen Behörden in diesen Untersuchungen eng zusammen; eine Bewertung der zugrunde liegenden Sachverhalte ist aufgrund des frühen Stadiums noch nicht möglich.
Zur Beilegung zivilrechtlicher Forderungen betreffend rund 98 Tsd. Benzinfahrzeuge mit Automatikgetriebe der Marken Volkswagen, Audi, Porsche und Bentley hat das US District Court des Northern District von Kalifornien im Februar 2020 die Vereinbarung von Volkswagen und dem sogenannten Steuerungskomitee der Kläger (Plaintiffs’ Steering Committee) endgültig genehmigt.
Die Porsche AG hat bei Fahrzeugen für verschiedene Märkte weltweit potenzielle regulatorische Themen festgestellt. Diese betreffen Fragen der Zulässigkeit von spezifischen Hard- und Softwarebestandteilen, die in Typisierungsmessungen verwendet wurden. Hierbei kann es in Einzelfällen auch zu Abweichungen von Serienständen gekommen sein. Nach aktuellem Kenntnisstand ist die laufende Produktion jedoch nicht betroffen. Die Themen stehen in keinem Zusammenhang zu den unzulässigen Abschalteinrichtungen, die der Dieselthematik zugrunde lagen. Die Porsche AG kooperiert mit den zuständigen Behörden, einschließlich der Staatsanwaltschaft Stuttgart, welche die Ermittlungen in Deutschland führt. Ein Ermittlungsverfahren gegen das Unternehmen gibt es nach den vorliegenden Informationen jedoch nicht. Die internen Prüfungen bei Porsche hierzu dauern noch an.
Beim US District Court des Northern District von Kalifornien wurden fünf Klagen zu diesen Themen eingereicht. In den Klageschriften wurde behauptet eine bestimmte, in den betroffenen Fahrzeugen angeblich eingesetzte Software und/oder Hardware habe dazu geführt, dass der tatsächliche Schadstoffausstoß und/oder Kraftstoffverbrauch die im Zulassungsverfahren festgestellten Vergleichswerte überschreite. Diese Klagen richteten sich gegen die Volkswagen AG, Dr. Ing. h.c. F. Porsche AG, AUDI AG und Porsche Cars North America, Inc., wobei nicht jede Gesellschaft in allen Fällen verklagt war. Im Januar 2021 ist hierzu eine sogenannte Consolidated Complaint eingegangen, welche die fünf mutmaßlichen Sammelklagen in einer Klage vereint. Die Consolidated Complaint richtet sich nicht mehr gegen die AUDI AG.
Für mögliche Ansprüche im Zusammenhang mit Finanzdienstleistungen gegenüber Verbrauchern waren im Bereich der Volkswagen Bank GmbH sowie der Volkswagen Leasing GmbH Rückstellungen zu bilden. Diese betreffen Verfahren bezüglich Gestaltungsaspekten von Kundenkreditverträgen und -leasingverträgen, die sich anlaufhemmend auf die gesetzlichen Widerrufsfristen auswirken können.
Im Februar 2020 wurde der Volkswagen AG, neben einem weiteren Beklagten, eine Klage der GT Gettaxi Ltd. zugestellt. In der Klage werden insbesondere vermeintliche, hohe Schadensersatzansprüche geltend gemacht. Volkswagen bewertet die behaupteten Ansprüche und verteidigt sich dagegen.
Weitergehende Angaben zu den Schätzungen hinsichtlich der finanziellen Auswirkungen sowie Angaben zu Unsicherheiten hinsichtlich der Höhe oder der Fälligkeit von Beträgen der Rückstellungen und Eventualverbindlichkeiten im Zusammenhang mit den weiteren wesentlichen Rechtsstreitigkeiten werden gemäß IAS 37.92 nicht gemacht, um die Ergebnisse der Verfahren und die Interessen des Unternehmens nicht zu beeinträchtigen.