Brief an unsere Aktionärinnen und Aktionäre
in den zurückliegenden Monaten befanden wir uns im wohl größten Spannungsfeld der Unternehmensgeschichte – zwischen der Bewältigung der Covid-19-Pandemie und der Transformation in Richtung Tech-Unternehmen. Dabei war und ist die Entwicklung neuer digitaler Produkte, Services und Kundenschnittstellen die existenziellere Herausforderung für unseren Konzern.
Unser neuer Antrieb sind Daten und Strom. Wir verbessern das Ladeerlebnis für unsere E-Fahrzeuge. Wir ermöglichen Softwareupdates over-the-air – inklusive neuer Funktionen und Assistenzsysteme. Wir etablieren neue Vertriebsprozesse, überwiegend online, und wir kommunizieren direkt mit unseren Kunden – rund um die Uhr, wenn gewünscht.
Daten sind der neue Wohlstandsmotor für Volkswirtschaften. Ihre Verwertung stärkt die Kundenorientierung und sorgt für komfortablere, sicherere Mobilität. Durch digitale Upgrades und Zusatzdienste rund um das Fahrzeug entstehen neue Geschäftsfelder, die wir erschließen. Daten, vor allem im vollvernetzten Verkehr, werden Grundlage für das autonome Fahren, das individuelle Mobilität neu definiert. Wir planen deshalb innerhalb der kommenden fünf Jahre 27 Milliarden Euro in die Digitalisierung zu investieren – rund ein Fünftel der Gesamtinvestitionen des Konzerns.
Zwei Leuchtturmprojekte bringen den neuen Fokus auf Software und Daten mit High-Speed in die Volkswagen Welt. Audi führt im Jahr 2024 im Projekt „Artemis“ eine neue, konzernweite Softwareplattform ein, zuerst im Premiumsegment. Die Marke Volkswagen folgt 2026 mit dem Projekt „Trinity“ im Volumensegment. Beide Vorhaben stehen für völlig neue und durchdigitalisierte E-Modelle. Seit Juli 2020 programmiert unsere Car.Software Organisation das neue Betriebssystem vw.os, für den Ersteinsatz bei Artemis. Heute arbeiten dort mehr als 3.500, in fünf Jahren 10.000 IT-Experten: Coding wird zum Teil der Volkswagen DNA. Wir behalten das Gehirn des Autos auch in Zukunft bei uns.
Wir befinden uns auf neuem Spielfeld – mit Unternehmen, die aus der Tech-Welt in die Mobilität drängen, oft mit schier unbegrenztem Ressourcenzugang über die Kapitalmärkte. Der Volkswagen Konzern wird an der Börse heute als Teil des „Old Auto“ bewertet. Mit konsequenter Ausrichtung auf Software und Effizienz arbeiten wir daran, dies zu ändern. Das wertvollste Unternehmen der Welt wird wieder ein Mobilitätsunternehmen sein – und im Wettbewerb um „New Auto“ verfügt Volkswagen über eine der besten Ausgangspositionen.
In der „alten Welt“ des Fahrzeugbaus haben wir einen ausgezeichneten Stand erreicht: Bauqualität, Anmutung und Funktionalität unserer Fahrzeuge sind so gut wie nie. Nur mit höchstem Ertrag aus dem traditionellen Geschäft können wir die Transformation zum Digital-Unternehmen erfolgreich gestalten. Die Fixkosten des Konzerns wollen wir bis 2023 um fünf Prozent reduzieren. Auch im Einkauf setzen wir an und arbeiten daran, die Materialkosten über die nächsten zwei Jahre um sieben Prozent zu senken. Die Marken verbessern ihre Profitabilität durch Kostensenkungsprogramme. Und unser Portfolio, so diversifiziert wie nie zuvor, vereinfachen wir an den richtigen Stellen.
Zusätzlich stärkt unser Fokus auf nachhaltiges Handeln die Resilienz des Konzerns. Spätestens 2050 wird unser Unternehmen weltweit bilanziell klimaneutral sein – von den Lieferketten über unsere Werke und Geschäftsbereiche bis zur Nutzung der Fahrzeuge durch unsere Kunden. In der Pandemie konnten wir wichtige Fortschritte erzielen. Das heißt vor allem: mehr E-Autos auf die Straße bringen. Insgesamt hat der Konzern den Absatz vollelektrischer Fahrzeuge auf 231.600 verdreifacht.
Der Marktstart der Volkswagen ID.-Familie hatte großen Anteil daran. In Zwickau ist die Produktion des ID.3 und des ID.4 angelaufen. Letzterer rollt seit November 2020 auch in China in zwei neugebauten Fabriken vom Band. Wenn in den USA die Produktion des ID.4 im Jahr 2022 startet, erfüllt das E-SUV seinen Anspruch, das elektrische Weltauto zu sein.
Unser neuer Antrieb sind Daten und Strom.
– Herbert Diess –
Der Volkswagen ID.3 war im Jahr 2020 das erfolgreichste E-Auto im Konzern mit 56.000 Auslieferungen, gefolgt von Audi e-tron oder Porsche Taycan. In die E-Mobilität wollen wir in den nächsten fünf Jahren rund 35 Milliarden Euro und in die Hybridisierung des Modellportfolios weitere 11 Milliarden Euro investieren. Vor fünf Jahren haben wir durch die Entscheidung für den Elektro-Baukasten MEB den Startschuss für die E-Mobilität im Konzern gegeben – jetzt ist sie Kerngeschäft.
Im vergangenen Jahr konnten wir die Emissionen der Konzernflotte in Europa bereits deutlich gegenüber Vorjahr senken. Im Jahr 2021, wenn sich die E-Offensive durch Modelle wie den ŠKODA Enyaq iV voll entfaltet, werden wir die CO2-Flottenziele der EU erfüllen und uns in den Folgejahren weiter verbessern – bis wir in naher Zukunft unsere überschüssigen CO2-Kredite gewinnbringend handeln können.
In China konnten wir unsere 40jährige Erfolgsgeschichte vor allem mit Blick auf emissionslose Mobilität fortschreiben. Durch unsere Anteilserhöhung im Joint Venture Volkswagen (Anhui) auf 75 Prozent beschleunigen wir die Elektrifizierung in unserem größten Markt. Beim chinesischen Batteriehersteller Gotion haben wir angekündigt, mit dem Erwerb von 26 Prozent zum größten Anteilseigner aufzusteigen. So weiten wir unsere Batterie-Kompetenz auf globaler Ebene aus.
Der neue Green Deal der EU führt zu einem höheren Batteriebedarf für Volkswagen im Jahr 2030. Um die politischen Klimaziele zu erreichen, müssen rein elektrische Fahrzeuge dann 55 Prozent unserer Auslieferungen in Europa ausmachen; deutlich mehr als bisher geplant. Das heißt auch: Wir werden neben unserem Batterie-Standort Salzgitter zwei weitere Batteriefabriken in Europa benötigen. Volkswagen ist vorbereitet – und unterstützt den Green Deal ebenso wie das Pariser Klimaabkommen.
Unsere Nutzfahrzeugsparte TRATON plant, bis 2025 eine Milliarde Euro in die Elektrifizierung zu investieren. Das ist wichtig: Im Gütertransport und im öffentlichen Personennahverkehr lassen sich – im Vergleich zur Autoflotte – Emissionen schneller und mit einem Bruchteil an Ressourcen reduzieren. Die Global-Champion-Strategie wurde im Jahr 2020 vorangetrieben: TRATON hat in Japan ein E-Mobility-Joint Venture gegründet und die Übernahme des amerikanischen Herstellers Navistar angekündigt, Scania die erste Produktionsstätte in China auf den Weg gebracht. Gleichzeitig werden in Deutschland die Weichen auf Effizienz gestellt: MAN hat angefangen, seine Wettbewerbsfähigkeit durch Restrukturierungen zu erhöhen, um besser für die Transformation aufgestellt zu sein – auch Trucks und Busse werden elektrisch und autonom fahren.
Im Corona-Jahr 2020 haben viele unserer Beschäftigten ihre Arbeit in den Dienst der Allgemeinheit gestellt, um zur Eindämmung der Pandemie beizutragen. Volkswagen Südafrika baute eine ehemalige Fabrik in ein Krankenhaus um. SEAT fertigte in Spanien Beatmungshilfen. ŠKODA in Tschechien und Lamborghini in Italien produzierten Schutzmasken. Der Konzern stellte für 40 Millionen Euro Hilfsgüter bereit, suchte Produzenten in China und sorgte für den Transport nach Europa.
Gleichzeitig konnten wir mit einem 100-Punkte-Plan sichere Arbeitsbedingungen in der Produktion gewährleisten, globale Lieferketten aufrechterhalten und unsere Liquidität sicherstellen, vor allem durch gezieltes Lagermanagement. Volkswagen hat sich im Jahr der größten Krise seit Jahrzehnten robust und leistungsstark gezeigt. Zum Jahresabschluss verzeichnete der Konzern rund 15 Prozent weniger Auslieferungen gegenüber Vorjahr – gleichzeitig aber eine leichte Erhöhung des globalen Marktanteils. Das Operative Ergebnis vor Sondereinflüssen belief sich im Jahr 2020 auf 10,6 Milliarden Euro. Die Netto-Liquidität in Höhe von 26,8 Milliarden Euro unterstreicht die hervorragende Solidität des Konzerns. Sie liegt um 25,9 Prozent über dem Vorjahr.
Ich bin sehr stolz auf das, was unsere mehr als 660.000 Beschäftigen in dieser herausfordernden Zeit geleistet haben. Im Spannungsfeld zwischen Pandemie und Transformation haben wir den besten Stimmungswert bei der jährlichen Mitarbeiterbefragung erzielt. Unsere Unternehmenskultur konnten wir positiv verändern. Das bestätigte uns auch der Abschlussbericht des Teams des US-Monitorships im September 2020, mit dem wir vier Jahre lang an besseren Prozessen, mehr Transparenz und weniger Hierarchiedenken im Unternehmen gearbeitet haben. Unseren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern danke ich für Ihren Einsatz herzlich. Und auch bei Ihnen, sehr geehrte Anteilseignerinnen und Anteilseigner, möchte ich mich für Ihre Unterstützung bedanken.
Im Jahr 2021 starten wir nach Wechseln in den Vorständen unserer Marken und mit Murat Aksel, Arno Antlitz und Thomas Schmall als neue Mitglieder im Konzernvorstand mit einem neugeformten, schlagkräftigen Team durch. Ich werde konsequent einstehen für höheren Ertrag aus dem traditionellen Geschäft und für die volle Konzentration auf Softwarekompetenz. Es gibt bei Volkswagen viel zu tun, zu entscheiden, zu verändern – denn wir wandeln uns in den nächsten zehn Jahren mehr als in den fünfzig Jahren zuvor.
Die Transformation zum klimaneutralen, softwaregetriebenen Mobilitätskonzern schreitet 2021 schnell voran. Begleiten Sie uns dabei!
Herzlichst
Ihr Herbert Diess